Über sein Werk

Gemessen an der äußeren Wirklichkeit ist die Farbsetzung von Andreas Flügel falsch. Die Farbe überzeichnet das gegenständliche Motiv: zu rot zu grün zu blau. Alles erscheint übertrieben.

Im Bildinhalt zitiert er das große Thema, das in der Malerei einstmals von Bedeutung war. Seit der Moderne ist es aber ohne Funktion: die Historiendarstellung. Als Mahn- oder Denkmal, als Reiterstandbild muss es sich den Bildraum mit nebensächlichen Motiven teilen: unspektakuläre Stadträume, gewöhnliche Campingplätze. Vor allem müssen diese vergangenen Motive der Welt- und Geistesgeschichte (Goethe und Schiller, Karl Marx, Wilhelm I), die selbst im Bild nur als Bildwerk erscheinen, sich der Malerei beugen. Auf diesem Feld exerziert der Maler gleichsam gegen das heroische Motiv die Falschheit der äußeren Wirklichkeit zugunsten der malerischen Evidenz. In diesem Sinne reduziert sich der Palast der Republik hinter der Marx- Büste auf ein dramaturgisches Moment der Malerei, nicht auf ein Moment einer historischen Bilderzählung. Die Reduktion bedeutet aber zugleich ein Gewinn für die Malerei, die sich gemeinsam mit den Bodenplatten ins Ornamental-Dekorative steigert.

Dennoch lädt die expressive Farbigkeit das Bild spannungsvoll auf. Von Ruhe und Ausgeglichenheit – vielleicht auch Ödnis-, die motivisch durchaus gegeben ist, kann malerisch nicht die Rede sein. So ist das vorgeblich große Thema (deutsche Geschichte) nicht bedeutsamer als das kleine, private (Campingplatz), da beide im selben malerischen Zugriff stehen.

Auch die dekorative Idylle (Villa im Skulpturenpark Waldfrieden) ist in ähnlicher Weise diesem expressiven Zugriff unterworfen, bei dem sich die absolute Heiterkeit nicht einstellen will. Über der Szene lastet eine Atmosphäre des Fremdartigen und Unvertrauten, die sich malerisch konstituiert. Gemessen an dieser Bildwirkung ist die Farbsetzung von Andreas Flügel richtig

Ferdinand Ullrich


Der komponierte Augenblick in der Malerei von Andreas Flügel


Menschen in extremer Nahansicht, sich selbst überlassene Häuser und Schwimmbecken im Wald sind Beispiele für die malerischen Räume, die Andreas Flügel in seinen mittel- bis großformatigen Leinwandbildern bearbeitet.

Bekleidet mit einem bunt gemusterten Top und einer Jeanshose, die Hände demonstrativ in die Vordertaschen gesteckt, steht eine weibliche Figur frontal zum Betrachter („Hände in der Hosentasche“). Der Bildraum ist auf die Körpermitte reduziert, so dass Oberkörper und Beine seltsam abgeschnitten wirken. Die Faltenbildung der Jeans, die charakteristische Darstellung des Stoffes in der Arbeit „Die Cordhose“, der Faltenwurf im Bild „Rotes Kleid“ zeigen Flügels Freude am Detail. Dabei steigern die extreme Nahansicht und die zentrale Position der Figuren die Wirkung des Ausschnitthaften und entreißen dem Betrachter jeglichen Kontext, der sich fragt, wer die Dargestellten sein könnten: Freunde des Malers? Zufällige Passanten auf der Straße? Diese Menschen entstammen nach eigener Aussage dem persönlichen Umfeld des Künstlers, wobei er den einen entscheidenden Moment und Ausschnitt mit der Kamera festhält und als Vorlage für seine Malerei verwendet.

Anders verfährt der Künstler in der Serie der Häuser. Im Bildfindungsprozess sucht Flügel im Internet nach Fotomaterial zu bestimmten Begriffen. Das führt ihn zu einer Materialflut, aus der er sich sein Repertoire zusammenstellt und die Details für seine Bilder komponiert.

Auf der Leinwand beginnt er mit einer schnell und bruchstückhaft ausgeführten Vorzeichnung. Es folgen viele lasierende Farbschichten, die hier und da im Gesamtbild wieder durchblitzen. Figurative Elemente werden mit raschem Pinselstrich gemalt. Beim Zusammentreffen der verschiedenen Lacke und Dispersionsfarben entstehen im Bild überraschende Formgebilde, die der Künstler nur begrenzt lenken kann und die in die Komposition mit einbezogen werden. Die flüssigen und zähen Farben rufen neue, unvorhersehbare Strukturen wie herunterlaufende Farbbahnen hervor. Diese „Läufer“ und die unzähligen Farbspritzer, die große Teile der Bildfläche übersäen, erzeugen den illusionistischen Effekt der Tiefenwirkung.

Je länger der Betrachter vor den Bildern verweilt, desto reicher tritt die Vielzahl an malerischen Techniken hervor. Die starken Hell- / Dunkelkontraste in Flügels Naturdarstellungen und Spiegelungen in Fenstern und Wasseroberflächen erinnern gelegentlich an Lichtsituationen des Impressionismus. Und so verwundert es nicht, dass der schottische Maler Peter Doig, dessen häufig impressionistisch verspielten Bilder ihn zum Star der zeitgenössischen figurativen Malerei werden ließen, zu Flügels klar favorisierten Künstlern zählt.

Flügel wendet sich gemäß unserer Zeitströmung der gegenständlichen Malerei zu. Vielen Bildern ist der Charakter einer kurzen filmischen Szene eigen, bei denen der flüchtige Augenblick zwischen zwei Gesten oder Handlungen auf die Leinwand gebannt ist. Die aus verschiedenen Medien stammenden Motive wirken in ihrer Komposition auf der Leinwand häufig wie Versatzstücke und verweisen auf Flügels Spiel mit inhaltlichen Brüchen. Damit fordert der Künstler zum genauen Hinsehen auf, ohne einer feststehenden und für den Betrachter nachvollziehbaren Narration zu folgen.

Dr. Nanna Preußners