Zur Malerei von Tanja Selzer

Die Entstellung, die Ambivalenz des schönen Hässlichen und des hässlichen Schönen sind das Thema der Malerei von Tanja Selzer. Ihre Arbeiten sind bestimmt vom politisch gesellschaftlichen Kontext, das Problem Mensch wird in seinen äußeren und inneren Ausformungen beleuchtet.

Heute wird unsere Wahrnehmung, unsere Konstruktion von Realität hauptsächlich durch fotografische Mittel bestimmt. Vor jedem Bild steht eine Kamera, die entscheidet, was wir zu sehen bekommen. Auch nach mehr als einem Jahrhundert seit ihrer Erfindung sind wir geneigt, der Fotografie noch immer zu glauben, ihre Wiedergabe des Realen als Dokument zu werten. Wir nehmen das als gegeben hin, obwohl sie zigmal der Lüge überführt wurde. Vom Handyfoto bis zur Fernsehreportage versichern wir uns kollektiv einer Wirklichkeit.(1) Die Allgegenwärtigkeit der Bilder birgt jedoch auch die Gefahr eines Bedeutungsverlustes in sich. Hier setzt die Malerei Tanja Selzers an.

Sie wählt – aus dieser alltäglich nicht enden wollenden medialen Flut – Bilder vom Krieg, von Natur- oder von vom Menschen verursachten Katastrophen. Diese Bilder verändert sie durch Komposition, Farbverschiebung und die Leichtigkeit des malerischen Auftrags so, dass sie für den Betrachter im Mantel einer scheinbaren, meist landschaftlichen Idylle daher kommen. Ihr Verfahren der Verschiebung und der Verfremdung, scheint einer Maxime Sergei M. Eisensteins zu folgen: „Die Farbe beginnt dort, wo sie nicht mehr der natürlichen Färbung folgt.“ Selzers Katastrophen sind in wolkiges Rosa, grelles Pink, in verschmutztes Lila oder Hellblau getaucht oder durch starke oft komplementäre Farbkontraste geprägt. Die Bildkomposition ist immer durch eine starke Horizontlinie bestimmt, entweder durch einen schmalen giftig leuchteten Himmelsstreifen oder ein sich auftürmendes Wolkenmeer, das die Landschaft und die Menschen zu erdrücken droht. Doch ist es gerade die Weite der Landschaft, die uns trotz der merkwürdigen Farbigkeit in die Falle lockt; erst der zweite Blick lässt den Rückschluss auf die Realität, die faktische inhaltliche Verortung zu. „Die süßlichen Landschaften, deren strukturelle Vielschichtigkeit den Betrachter verführt, entpuppen sich bald als Aufmarschgebiet; werden von unscharfen Figurenkonvois durchzogen, deren Ziellosigkeit noch erahnbar bleibt. Andere weich gezeichnete Figurengruppen ziehen langsam verkappten Katastrophen entgegen oder sind bereits verstrickt in eine Täterschaft.“(2) Die Gleichzeitigkeit dieser oft wilden, merkwürdigen Schönheit und das beklemmende Gefühl dass irgendwas falsch ist in ihren Bildern, lässt uns fragen was denn da passiert ist oder was da passiert sein könnte und führt uns letztendlich doch wieder zurück in die mediale Bildwelt, aus der wir uns im Alltag oft einfach heraus zappen.

Tanja Selzer nutzt die Malerei als verspätetes Medium. Roland Barth spricht einmal davon, dass das Foto bezeugt: „so ist es gewesen“, und dass vom Foto eine Emanation des Realen ausgeht. So könnte die Malerei ebenfalls als ein Medium verstanden werden, das vermittelt etwas über Realität aussagt – den latenten Wahrheitsgehalt.(3)

Annette Thomas, April 2008



(1) sh.: Thomas Eller in: Die Diktatur der Fotografie, www.artnet.de/magazine/features/eller/eller01-15-08.asp
(2) Lukas Leonhardt, (www.artdirekt.ch/index.html?termine.html)
(3) sh: Luc Tuymans/Sabine Folie in: „Lieber Maler male mir ...“, Centre Pompidou, Paris; Kunsthalle Wien, Schirn Kunsthalle Frankfurt, S. 118 ff., 2002/03