Galerie art.ist // Text zur Ausstellung von Milou Hermus
"Fremdkörper"

Nackte menschliche Figuren bevölkern die jüngeren und neuen Werke der bil-denden Künstlerin Milou Hermus. Umhergehend und in sonderbaren exhibitio-nistischen Posen sitzend nehmen sie schamlos die Bildfläche in Besitz. Frech drängen sie von den Rändern her auf die Oberfläche, springen zwischen den Säulenlinien auf und ab wie beseelte kleine Tiere, wie Fleisch gewordene Satzzeichen.
Die abstrakten monumentalen Formen der Komposition versuchen diesen selt-samen Körpern Einhalt zu gebieten - und wenn dies alles nichts zu helfen scheint, werden sie durch lineare Zeichen auf ihre Plätze zurückgedrängt - durch Kratzer, Kreuze, Schatten, Striche, Schriftzeichen.

Diese Eindringlinge, diese unheimlichen Körper, diese "Fremdkörper": Wo kommen sie her?
In Milou Hermus' Arbeiten der letzten 25 Jahre schienen figurative Aspekte völ-lig verschwunden zu sein, eine eher lyrische, farbenfrohe Abstraktion herrscht vor.
Was also ist passiert?
Vor einigen Jahren - während eines Arbeitsaufenthaltes in Irland - geriet Milou in Kontakt mit der irischen Kultur, insbesondere mit der irisch/keltischen Buchmalerei. Eine Geschichte faszinierte sie besonders: die absonderliche Sage vom Heiligen Brandan. Diese Faszination nahm solche Ausmaße an, dass Milou sogar nach Wien reiste um mit eigenen Augen den originalen Bildstreifen aus dem Mittelalter zu sehen. Milou ist völlig begeistert, sie träumt von ihrem eige-nen ‚Brandan', ihrer eigenen Geschichte in Bildern: ein neues visuelles Aben-teuer. Plötzlich, Jahre später, das irische Abenteuer ist fast vergessen, schlagen wie aus heiterem Himmel diese kleinen, nackten, schändlichen Frauenkörper zu, wie sprichwörtliche kleine Teufel - so sieht es zumindest aus.

Bildende Künstler leiden, stärker als andere, unter dem Phänomen, das man so hübsch ‚Bildgedächtnis' nennt. Denn dieses Gedächtnis bricht fast zusammen unter der Ansammlung von visuellem Material, das sich bewusst oder unbe-wusst, ohne es zu wollen und manchmal auch ohne es zu wissen - rein zufällig - über Jahre ins Gedächtnis eingeprägt hat.
In peinlichen, oft völlig unmöglichen Augenblicken drängen solche Bilder wie-der hervor. Man kann das kaum kontrollieren. Lässt du eins zu, wird der Rest folgen - ungezügelt und assoziativ.
Gleichzeitig ist diese ‚Bürde' eine unerschöpfliche Quelle von Bildern, ohne die eine bildende Künstlerin unmöglich arbeiten kann. So zumindest funktioniert das bei Milou Hermus.

Wir, die Betrachter, haben manchmal die Gelegenheit Zeugen einer solchen Bild-Eruption zu sein, einen solchen Wechsel aus erster Hand mitzuerleben. Ei-ne einzigartige und außergewöhnliche Erfahrung: vertraut und gleichzeitig fremd, vertrauenswürdig und doch obskur, einerseits formal und wissenschaft-lich, andererseits magisch und nur schwer zu fassen.