Galerie art.ist // Rede von Mireille Houtzager zur Eröffnung der Ausstellung von Milou Hermus
Fremdkörper

Die Welt der Milou Hermus ist eine Bilderwelt. Sie denkt, guckt, bewegt, redet und atmet in Bildern.
Jeder Mensch hat seine eigene Welt, nicht? Jeder Beruf kennt sein eigene Welt und beide Welten bilden zuletzt das Material, womit wir als Individuum unser Leben formen. In unserem Beruf, inmitten unserer nächsten Verwandten, Freunde und Bekannten tragen wir unser gebildetes Leben hinaus und über. Es wächst um uns herum, wie ein Mantel, ein bequem sitzendes, manchmal abgetragenes, aber geliebtes Kleidungsstück, womit wir letzten Endes identifiziert werden.

In die eine Welt wird so etwas getragen durch das Wort, in eine andere sollen das eher wissenschaftliche Formeln sein oder physische Handlungen, die sich bewegen zwischen Ursache und Wirkung, und in wieder eine andere ist es der Geist, und das alles auf jedem intellektuellen Niveau, in jeder möglich denkbaren Klassifizierung. Wir werden dies alles wieder erkennen, Sie und ich. Künstler bilden eine Kategorie für sich und das macht sie anders, auf die eine oder andere Weise schwieriger, eigenartiger. Es sperrt sie gewissermaßen außerhalb der Kategorien, über oder unter der anderen Welt. Wir kennen allerseits dieses romantische Klischee. Gleichzeitig liegt hier das Problem, ein Problem das teilweise beruht auf einem Missverständnis.

Der Metzger hier um die Ecke, der Bäcker, der Apotheker hier schräg gegenüber, haben jeder für sich ihren eigenen Beruf, ihre eigene Welt, eine Welt die wir für wahr halten. Ich kaufe ein Stückchen Fleisch, ein Brötchen, eine Schachtel Pillen, und ich gehe davon aus, dass es lecker oder gut ist. Ich darf annehmen, dass die Bereiter Ahnung haben von ihrem Geschäft. Sie haben ja weitergelernt, nicht? Wenn ich mit ihnen plaudere, oder Fragen stelle, erweist sich, dass sie ganz genau wissen, worüber sie reden. Ich brauche nicht mal die Kühlzelle, Bäckerei oder das Laboratorium hinten im Geschäft zu sehen um ihre Kenntnisse und ihre professionellen Talente zu bestätigen. Schlimmer noch: meistens will ich das nicht einmal wissen.

Für einen bildenden Künstler liegt das allerdings durchaus anders. Der Künstler bedient sich von derselben Welt worin und womit wir leben. Er macht davon Gebrauch oder sogar Missbrauch, saugt alles auf, filtert, destilliert und setzt sein professionelles Talenten ein, um das alles wieder aus zu spucken in (Kunst)Bildern, literarischen Wörtern und Musik.
Es ist die persönliche, individuell gefärbte Filterung, der spirituelle Destillierungsprozeß - mehr noch denn vielleicht die Talente - der uns befremdet, in Verwirrung bringt und der uns emotionell berührt.

Der Künstler hat auch ganz üblich ein Gewerbe, wie jeder andere Beruf. Er hat ein angeborenes Talent das (meistens) erzeugt, erlernt und entwickelt wird in dazu bestimmten Ausbildungsanstalten: Kunstakademien, Konservatorien, Universitäten. Dort lernt er seine Werkzeuge und Materialen zu betätigen, so wie der Metzger, Bäcker oder Apotheker. Und damit ist der Vergleich zu Ende und fängt das 'Problem' an. Wie funktioniert das?
Die Welt, woraus der Künstler schöpft und Inspiration entnimmt, ist die unsere, das heißt: ein Konglomerat von allen diesen existierenden und historischen Welten, die wir als Totalität die unsere zu nennen pflegen. Wenn wir uns Müh geben, erkennen wir die auch. Vereinzelt.
Das 'Problem' wird geprägt durch den spirituellen Destillierungsprozeß, diese filternde Ausmahlung der Welt, die so sehr persönlich, so individuell unterschiedlich und so sehr anders ist: erkennbar und fremd zugleich, anziehend und abstoßend zugleich. "Das ist ja sauber gemahlt, hervorragend geschrieben, entzückend vertont", hört man die Liebhaber und Kenner schon sagen. Das hat mit dem Talent der Künstler, mit der Beherrschung von Material und Werkzeugen zu tun, und - wir sollen das nicht vergessen - auch mit unseren 'Talente', unserer mehr oder weniger entwickelten Fähigkeit zur Interpretation als Zuschauer, Anschauer, Zuhörer. Es sagt allerdings weiter nichts über die Totalerfahrung des Kunstwerkes an sich, und ist als solches auch nicht erklärbar. Kunst berührt uns emotional, schlägt eine empfindliche Saite an, die unsere Seele bewegt, uns in Verführung bringt, die uns überrumpelt oder an der Kehle packt: in positivem oder negativem Sinn.
Und da kommt noch etwas hinzu. So wie wir hier heute abend stehen, inmitten des bildende Werks der Milou Hermus, in der wunderschönen Kunstgalerie mit ihren großen gläsernen Schaufenstern zum Platz, drängt der Vergleich - den ich eher schon gemacht habe - sich wiederum auf. Morgen früh kann ich ein Brötchen kaufen beim Bäcker um die Ecke, Würstchen beim Metzger weiter die Straße entlang, oder etwas beim Apotheker bekommen gegen meine schrecklichen Kopfschmerzen; und hier - meine Damen und Herren - kann ich ein Bild kaufen. Ein Bild kann ich nicht beschmieren, zubereiten oder aufessen und es bleibt dahingestellt ob das hilft gegen meine Kopfschmerzen. Ein Bild häng ich auf, ich kann es jeden Tag - mein ganzes Leben lang - betrachten. Das Bild schaut zurück - da ensteht eine Dialog - und Schicht für Schicht, Bedeutung nach/ auf Bedeutung enthüllt das Bild seine innere Bildwirklichkeit. Eine die meine Welt vielleicht in Verwirrung bringt, wer weiß, auf den Kopf stellt, aber eine die mein Leben ergänzt, bereichert und für immer ändert, so wie nur Kunst es vermag.

Milou Hermus hat ein Gewerbe, eine Passion, Talent und eine ganz eigene, farbenreiche Bilderwelt, womit sie kommuniziert. Das Handwerk hat sie in den sechziger Jahren gelernt an der Kunstakademie St. Joost in Breda. Seitdem hat sie wie eine Besessene gezeichnet und gemahlt, vieles im Auftrag und daneben für sich selbst: sie kann nicht anders (oder sollte man sagen: sie kann und sie will nicht anders). Wer - wie ich - die reiche Praxis ihres Künstlertums ganz gut kennt und verfolgt hat, sieht wie sie sich entwickelt hat von einem auffallenden und außergewöhnlichen Zeichentalent - jemand der die visuelle Wirklichkeit scheinbar mühelos und virtuos gefügig macht - bis zu einem Künstler, der damit nicht länger zufrieden sein kann; da ist mehr. Zum Erstaunen und Kummer ihrer Auftraggeber und (festen) Kunden entwickelt ihre Bilderwelt sich in zunehmendem Maße zu einer die wir lyrisch-abstrakt nennen können. Eine geschichtete, bildhafte Welt, worin sie neugierig experimentiert und untersucht und eine ganz eigene Bildsprache entwickelt. Sie malt, fegt, übermalt, kratzt, zeichnet, schreibt, und beschwört gleichsam die Bilder, die sie - wie beim Zufall - unterwegs entdeckt, aufruft, erkennt und wieder verneint: eine geschichtete, bezaubernde abstrakte Welt.

Im letzten Viertel der neunziger Jahre - um ganz genau zu sein, seit ihrem Arbeitsaufenthalte in Irland und ihrer Begegnung mit der keltisch-christlichen Buchmalerei - tritt da ein Umschlag auf in ihrer Bilderwelt. Da erscheinen zögernd, aber unverkennbar, figurative Aspekte, sie werden geduldet, manchmal weg-gemalt, weg-gekratzt, aber sie drängen sich auf. Da ensteht eine interessante Mischung der Bildelemente, worin rein figurative Aspekte eine konfrontierenden Begegnung eingehen mit den lyrisch-abstrakten. Erstmal erschreckt sie davor selber, wie vor guten Bekannten von denen man sich schon Jahre her verabschiedet hat und die plötzlich vor deiner Tür stehen: Geister aus der Vergangenheit. Sie reist ab nach Wien, um in den historischen Bibliotheken die keltisch-christlichen Buchmalereien zu studieren, besonders das illustrierte Manuskript des Heiligen Brandaan und damit fängt für Milou ein neues Bilderabenteuer an. Die historische Welt des mittelalterichen Comic strip wird eine neue Quelle der Inspiration. Diese ungeschminkt direkte Weise des Kommunizierens mit Bildern in einer ungebildeten, analphabetischen Gesellschaft, in der die Sprache der Kirche - das Latein - nicht verstanden wird, fasziniert sie. Hier geht es um mehr als eine gezeichnete/ gemalte Explikation. Hier werden Sachen erklärt, die unbekannt, unverstanden, unvorstellbar und nicht zu fassen sind. Hier ist eine Zeichnung nicht ohne weiteres eine Zeichnung, ein Bild niemals einfach nur ein Bild.
Die unsagbare, undenkbare Wahrheit muß gleichsam unterstrichen werden, eingebrannt, besiegelt und begeistert werden: eine Form der Beschwörung. Und so tauchen - scheinbar aus heiterem Himmel - fremde menschliche Figuren auf in den jüngeren und neuen Werken der Milou Hermus. Eigenartige, bizarre weibliche Körper drängen sich herein in die Bildfläche, nackt, frech, schändlich: 'Fremdkörper'.
Der so schöne deutsche - und überhaupt international geliehene Begriff 'Fremdkörper' ist bewußt auserwählt als Titel für diesen Eröfnungsvortrag, weil dies sich sowohl wörtlich bezieht auf die jüngeren und neuen Werke der bildenden Künstlerin Milou Hermus, wie auf den Umschlag der sich in ihren Werke vollzogen hat während des letzten Viertels der neunziger Jahre. Im übertragenen Sinne des Wortes bezieht 'Fremdkörper" sich auf die Weise worauf das Künstlertum außerhalb unserer alltäglichen Welten von Beruf und Leben steht, und zuletzt - nicht an letzter Stelle - auf dem Gebrauch eines deutschen Lehnworts durch eine Holländerin in einer ursprünglich in englisch gedachten Vorlesung, die ich am Ende - auf Wunsch unserer Gastgeber - trotzdem auf deutsch gemacht habe. Der Kreis ist jetzt aber rund und zugleich quadratisch oder ist er oval? Mit Kunst kann man nie sicher sein, und, bitte, so soll es bleiben: Kunst ist nun einmal Kunst und spricht immerhin für sich.

Ich möchte ihnen herzlich Dank sagen für ihre Aufmerksamkeit. Es sprechen jetzt die Kunstwerke!

Mireille Houtzager
Eindhoven 18 juni 2004.